Landwirtschaft neu denken: Aktivstall, Tierwohl, Partnerschaft und der Wert von Ehrlichkeit
Ein Besuch bei Glücksatt, Kaliber und der Fleischerei Schulze
Um innovative Landwirtschaftskonzepte und Partnerschaften zwischen Landwirtschaft und Metzgereien kennenzulernen ist mir kein Weg zu weit. Diesmal führte mich die Reise in den Teutoburger Wald zu www.gluecksatt.de und dann ins Oldenburger Münsterland. Am 22. und 23. Mai hatte ich die Gelegenheit, zwei beeindruckende Unternehmerinnen zu treffen: Sarah Dhem, Geschäftsführerin der Fleischerei Schulte und Gründerin von www.kalieber.de, sowie Gabriele Mörixmann, Initiatorin des Aktivstall-Konzepts für Schweine. Was ich dort gesehen, gehört und verstanden habe, lässt sich in einem Satz sagen: Es gibt sie – die bessere Tierhaltung. Aber sie ist nicht einfach.
Aktivstall: Tierwohl in der Praxis – wie Gabi und Sarah die Landwirtschaft verändern.
Auf dem Hof von Gabriele Mörixmann habe ich live erlebt, wie Schweine in einem Aktivstall gehalten werden: mit Bewegungsfreiheit, Rückzugsräumen, Spielangeboten und Auslauf. Drei Webcams ermöglichen der Öffentlichkeit jederzeit Einblick in die Haltung – ein radikaler Akt der Transparenz, wie er selten geworden ist.
Sieben weitere Landwirte sind inzwischen Teil des Konzepts – mit direkter Unterstützung durch Gabriele, die die Umstellung von Beginn an begleitet. Hier wächst eine Bewegung, die Tierhaltung besser macht, ohne sich ideologisch zu überhöhen.
Die Wahrheit über Transformation: Gute Haltung braucht Zeit, Geld und Spielräume.
Was dabei oft vergessen wird: Eine Umstellung auf artgerechtere Haltung braucht enorme Investitionen, Planungssicherheit – und Zeit. Viele Betriebe stehen heute bei Haltungsstufe 2, was nicht ideal ist. Und ja – ich persönlich finde Stufe 2 nicht „gut“, aber sie ist aktuell oft die einzige realistische Option, um überhaupt im Geschäft zu bleiben.
Ein Betrieb kann nicht einfach schließen, um dann Monate später mit neuer Haltung wieder zu öffnen. Wer kein Geld verdient, kann keine Ställe umbauen. Gleichzeitig macht Bürokratie solche Umstellungen schwer – von Baugenehmigungen bis zu unklaren Förderwegen. Das müssen wir ehrlich anerkennen, wenn wir Wandel ernst meinen.
Frontal21-Bericht: Wenn gute Konzepte unter oberflächlicher Kritik leiden
In der Frontal21-Reportage vom 27. Mai wurde Tierhaltung kritisch beleuchtet – auch Betriebe im Aktivstall. Die Kritik, so Sarah Dhem in ihrer fundierten Stellungnahme, mischte aber verschiedenste Haltungsformen, ließ zentrale Informationen weg und verfolgte eine klare Dramaturgie statt einer differenzierten Einordnung.
Problematisch ist dabei nicht die Kritik an sich, sondern die Gleichmacherei. Wenn Aktivställe, die echte Fortschritte machen, auf dieselbe Stufe wie problematische Massenhaltungen gestellt werden, entsteht Frust – und eine gefährliche Resignation bei den Landwirten, die eigentlich alles richtig machen wollen.
„Wenn wir zulassen, dass selektiv und bewusst irreführend berichtet wird, vertreiben wir ausgerechnet die, die sich dem Wandel stellen.“ – Sarah Dhem
Wichtiges Werkzeug: Die Kennzeichnungsverordnung
In diesem Zusammenhang ist die Haltungskennzeichnung ein entscheidender Schritt nach vorn. Sie zwingt den Handel zur Transparenz und schärft die Wahrnehmung der Verbraucher. Verbraucher sollen erkennen: Nicht jedes Schweinefleisch ist gleich, nicht jede Haltung ist akzeptabel.
Aber auch hier gilt: Die Verordnung allein bewirkt noch keinen Wandel – sie braucht Verbraucher, die Verantwortung übernehmen, und Betriebe, die die Möglichkeit zur Umstellung erhalten.
Fazit:
Für Wandel braucht es Ehrlichkeit und Offenheit – auf allen Seiten
Was bleibt, ist eine klare Erkenntnis: Besseres Tierwohl ist möglich. Doch es entsteht nicht durch Empörung allein, sondern durch Zusammenarbeit, Verständnis für betriebliche Realität, politische Unterstützung – und echte Transparenz. Wer Fortschritt durch Skandalisierung zerstört, hilft niemandem. Wer differenziert – dem gehört die Zukunft.
Mehr Transparenz geht nicht.
Wer mal einen Blick in den Stall werfen will – hier geht es zu den Livecams die 24h lang tiefe Einblicke gewähren. Zudem können Interessierte immer Samstags zu einer Stallführung kommen.