Die Kunst ist, es wie acht Stunden Arbeit aussehen zu lassen.

Oder endlich um- und selbst zu denken.

Ein Mitarbeiteressay

„Montag ist mein siebtliebster Wochentag.“ Mit dem Festhalten an alten Strukturen, werden auch weiterhin gerne die Anti-Montagssprüche ausgepackt. Und tatsächlich blickt man häufig in ziemlich graue Kollegengesichter, wenn die neue Woche hämisch aus ihrem dunklen Startloch grinst. Arbeiten von dunkel bis dunkel. Dabei Lebenszeit absitzen und gegen Geld eintauschen. So fühlt es sich für die meisten an. Da hilft eben nur noch Sarkasmus zum Überleben – oder? 

Klickt man sich zur Thematik durch soziale Netzwerke und Onlinemagazine, wird schnell auffällig, dass die Menschen sich immer mehr Gedanken machen und die klassischen Arbeitszeiten-Modelle hinterfragen. Work-Life-Balance rückt vermehrt in den Fokus und gerade die jüngere Generation sucht vor allem nach persönlichen Werten hinter ihren Machenschaften. Bleibt das Privatleben auf der Strecke, wird eben ein neuer Job gesucht. Man könnte sogar soweit gehen, zu behaupten, dass der Arbeitskräftemangel auch eine Folge längst überholter Unternehmenskonzepte ist, bei dem die „grauen Herren“ viel zu lange das Sagen hatten (Kleiner Wink und Literaturhinweis an dieser Stelle: „Momo“ von Michael Ende – der wusste schon 1973 um die Problematik der Zeitdiebe). 

Sprengt die Anzüge, schneidet die Krawatten ab und holt endlich mal Luft! 

Wie sieht eine Arbeitswelt eigentlich aus, in der neben der üblichen Effizienzdenke auch der Mensch nicht zu kurz kommt? In der man sich entfalten und neue Facetten an sich selbst entdecken darf? Und in der man sich zudem noch aussuchen kann, neben wem man sich gerade aufhält? Einen Großteil des Lebens verbringen wir mit Menschen, die zufällig unsere Kollegen geworden sind. Und nicht jedem sind so tolle liebenswerte Kollegen vergönnt, wie mir. Dennoch wird es manchmal zu viel und ich entscheide mich an emotional stressigen Tagen fürs Homeoffice. Wie ergeht es da erst jenen, die mit Evolutionsbremsen und Freibiergesichtern zusammenarbeiten müssen? Äußere Faktoren, innere emotionale Zustände, persönliche Lebensphasen, private Probleme, besondere Augenblicke – auf all diese, eigentlich sehr wichtigen Aspekte, nimmt klassische, rein wirtschaftliche Unternehmensphilosophie keine Rücksicht. Funktionieren. Das ist das A und O.

Doch in Zeiten, in denen psychische Krankheiten mehr und mehr in die Köpfe der Menschen eindringen, ist es notwendig, umzudenken. Und zwar dort, wo es möglich ist. Natürlich bedarf es einer Grundstruktur und natürlich ist auch nicht jeder Job geschaffen für mehr Flexibilität. Doch auch nicht jeder Mensch ist gleich. Manch einer bevorzugt sogar das bisherige System und fühlt sich darin pudelwohl. Es geht um das Individuum selbst. Den Mitarbeitern die Entscheidungsfähigkeit zuzutrauen, welche Arbeitsweise für sie die Beste ist – und ihnen dabei auch mal Fehler zuzugestehen. Ein bisschen ist das wie in der Erziehung. Halt geben, Rücken stärken – da sein bei Problemen – und dennoch stets Verantwortung und Bewusstsein über das eigene Handeln zutrauen. 

Weg mit der Präsenzkultur.

Dieses Jahr habe ich von vielen Orten aus gearbeitet. Am Meer in Indonesien, in der Hängematte im Odenwald, am Schreibtisch neben meiner Mutter, auf dem Balkon gemeinsam mit meinem besten Freund und manchmal auch einfach im Bett. Mir bedeutet diese Freiheit der offenen Ortswahl besonders viel. Es beflügelt meine Kreativität, nimmt mir die verhasste Routine und es bringt mir viel Vertrauen entgegen. Ich fühle mich dadurch wertgeschätzt. Ein Gefühl, das wiederum Dankbarkeit erzeugt und somit automatisch auch ein viel besseres Gefühl gegenüber meiner Tätigkeit. Das heißt nicht, dass dies nun das ideale Arbeitsmodell für jeden ist. Es geht einfach darum, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen – sofern es eben vertretbar ist. Ein Projekt ist fertig und nun heißt es Däumchen drehen bis Feierabend? Wozu? Diese Zeit könnten wir stattdessen doch mit unseren Familien und Freunden oder Interessen füllen. Eigenverantwortlich die Zeit einteilen – und dadurch mehr Freiräume gewinnen. Selbst denken, mitdenken, neu denken! Und wenn ich dann bereits nach vier Stunden, statt nach acht fertig bin – na dann treffe ich mich spontan noch auf ein Bier oder nutze die Zeit dafür, Ideen zu kreieren. Ideen, die meinen Job bestenfalls noch interessanter gestalten – und in denen ich mich selbst, neben dem Alltagsgeschäft verwirklichen kann. Dies ist keine Anleitung für ein neues Arbeitsmodell. Dies ist der Aufruf, das eigene Potenzial nicht zu ersticken und das Bauchgefühl auch im Arbeitsalltag wieder mit einzubeziehen. Liebe Chefinnen und Chefs dieser Welt: Wir brauchen Raum für Persönlichkeit, um über uns hinaus zu wachsen! Liebe Kolleginnen und Kollegen dieser Welt: traut euch!

Veröffentlicht: 28.09.2018

Autorin: Nadine Zwingel – unsere Expertin für Text.Idee.Konzeption