Ein halb durchdachtes Gesetz
in einer halb toleranten Gesellschaft

Das dritte Geschlecht rückt nicht nur Stellenanzeigen in ein anderes Licht

Ein Mitarbeiterkommentar

In einer Welt, in der Lehrerinnen und Lehrer zu „Lehrenden“ werden, während man Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer am besten nur noch als „Geschäftsführung“ bezeichnet, fragt sich wahrscheinlich sogar der toleranteste Mensch irgendwann: Muss das wirklich sein?

Wie weit muss die Gleichberechtigung aller Geschlechter und die Freiheit bei der Geschlechterwahl eigentlich noch gehen?

Klare Antwort: noch viel weiter! Zumindest aus gesellschaftlicher Sicht. Was den gesetzlichen Aspekt angeht, lässt sich diskutieren.

Seit Beginn des Jahres gibt es in Deutschland offiziell drei Geschlechter: männlich, weiblich und divers. Menschen die sich als Intersexuelle oder jetzt eben „Diverse“ eintragen lassen können, weisen sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale auf. Im Fall der deutschen Gesetzgebung ist für die Eintragung jedoch ein ärztliches Attest – oder in Ausnahmefällen eine eidesstattliche Erklärung notwendig. Inwiefern dieses Gesetz also wirklich mehr Gleichberechtigung für Menschen bringt, die sich auch psychisch keinem Geschlecht zugeordnet fühlen, bleibt fraglich.

Natürlich ist dem Beschluss nicht abzusprechen, dass er Personen, die von Geburt an weder männlich noch weiblich sind, eine gewisse Anerkennung und Würde bietet. Aber wieso definieren wir uns eigentlich darüber was der Gesetzgeber uns vorschreibt? Und was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass sich eine Gruppe nur anerkannt fühlt, wenn sie rechtlich geschützt wird?

Wie wäre es mit einer Gesellschaft, in der sich jeder frei und glücklich, verstanden und akzeptiert fühlt, egal was der Gesetzgeber sagt? Eine Gesellschaft, die die Eintragung im Personalausweis als nicht mehr sieht, als eben das: ein Wort in einem Dokument, das nichts anderes ist als eine rechtliche Definition, die aber weder Persönlichkeit, noch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe festlegt.

Im Fall des dritten Geschlechtes muss man leider sagen, dass eine gesetzliche Regelung wirklich notwendig war, denn unsere Gesellschaft ist eben doch noch nicht so weit, dass sie jeden akzeptiert wie er ist. Jetzt müssen wir eben dazu gezwungen werden. Von einer Regierung, die selbst dazu gezwungen wurde eine Entscheidung zu treffen. Und das Ganze mittels eines Gesetzes, das höchstens in den Ansätzen in die richtige Richtung geht. Aber beschlossen ist beschlossen. Deswegen weg mit den moralischen Ansätzen und rein in den Alltag: und der ändert sich für Unternehmen vor allem bei einem Punkt: der Suche nach Mitarbeitern (m/w/d)!

Begibt man sich online auf die Suche nach einem Job, stößt man noch immer auf eine Vielzahl von Ausschreibungen, die nur mit (m/w), bzw. der Form mit „/in“ formuliert sind. Vielen ist die Tatsche des dritten Geschlechts zwar bewusst, aber sie sind sich über die Folgen nicht im Klaren. Rechtlich sind von nun an Stellenausschreibungen, die nur Frauen und Männer ansprechen, genauso diskriminierend, wie jene, die ausschließlich nach Männern suchen.

Auch wieder so ein Diskussionspunkt: Wenn ich nur Männer einstellen wollen würde, dann bringt es den weiblichen oder diversen Bewerbern kaum etwas, dass sie mit angesprochen werden. Am Ende geht es um eine von Menschen getroffene Entscheidung – und die ist nicht zwangsläufig gerecht.

Schlussendlich leben wir in einem Rechtsstaat, das bedeutet in Zukunft suchen wir nach (m/w/d). Die Bewertung der Sinnigkeit dieser Regelung bleibt jedem selbst überlassen.

Formulierungstechnisch öffnet diese Vorschrift jedoch nie da gewesene Stolperfallen. Da es für Diverse weder eine Anrede noch sonstige eindeutige grammatikalische Regeln gibt, fällt es schwer Sätze wirklich geschlechterneutral zu formulieren. Zumindest wenn man versuchen möchte, auf das (m/w/d) zu verzichten.

Nimmt man es ganz genau, müssen von nun an immer „Personen“ angesprochen werden. „Wir suchen eine/n Lehrer/in“ ist ja offensichtlich kein neutraler Satz mehr. Vielmehr müsste es nun heißen: „Wir suchen eine zum Lehren zugelassene Person.“ Oder etwas einfacher „Wir suchen Lehrende“. Womit man aber automatisch in den Plural wechseln muss, um stilistisch nicht ganz abzustürzen. Dem (m/w/d) kann man also kaum entkommen – außer man weiß die deutsche Sprache bis in die hintersten Ecken zu biegen und mit ihren Regeln zu spielen.

In diesem Fall müssen wir uns eben dem Gesetzgeber beugen und das umsetzen, was vorgeschrieben wird. Aber beschweren darf sich keiner darüber! Denn (auch wenn es bereits gesagt wurde) würden wir alle für eine Gesellschaft kämpfen, in der keiner das Gefühl hat nicht anerkannt zu werden oder weniger Wert zu sein, weil ihm eine Eintragung im Personalausweis fehlt, dann würden uns nicht nur solche Probleme erspart bleiben, sondern wir könnten auch voller Stolz behaupten, in einer toleranten und offenen Welt zu leben. In der bisherigen Situation ist es den Diversen nicht vorzuwerfen, dass ihnen – trotz der Tatsache eine verhältnismäßig kleine Gruppe zu sein – eine solche Behandlung zuteil wird. Endlich nimmt man sie wahr und endlich werden sie akzeptiert.

Dass dazu ein solcher Weg nötig war, ist ganz offen gesprochen eher traurig als ein großer Erfolg beim Thema Toleranz und Gleichberechtigung.

Veröffentlicht: 08.02.2019

Autor: Philipp Böhm – Unser Experte für Social.Text.Neuland